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Kategorie: Musical

Auf einen Eierlikör unter Geheimräten

Serkan Kaya spielt im Musical „Hinterm Horizont“ den Altrocker Udo Lindenberg. Im Interview erzählt der gebürtige Leverkusener auch über sein Leben als Bühnenkünstler.

Herr Kaya, einen Interviewtermin mit Ihnen zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Ihr Arbeitsplan ist voll, Sie müssen seit der Premiere im Januar beinahe täglich auf die Bühne. Wie stressig ist Ihr Leben als Musical-Udo?

 

SERKAN KAYA: Keine Frage: „Hinterm Horizont“ füllt gerade einen enorm großen Teil meines Lebens aus. Aber ich habe ja auch noch einen 17 Monate alten Sohn, der sich seine Rechte knallhart erkämpft. Meine Freundin studiert nämlich gerade. Und daher muss ich – auch wenn ich abends zuvor den Udo gespielt habe und erst um ein Uhr ins Bett gekommen bin – morgens ab acht Uhr auf den Kleinen aufpassen. Und den Kleinen interessiert es natürlich überhaupt nicht, was ich am Tag zuvor gemacht habe oder ob ich ausgeschlafen bin.

 

Wie lange geht dieser Stress denn weiter, sprich: Wie lange wird das Musical in Berlin laufen? KAYA: Der Vertrag läuft erst einmal bis Februar 2012. Aber er wird hundertprozentig verlängert, denn „Hinterm Horizont“ ist das erfolgreichste Musical, das je in Berlin gezeigt wurde. Wir hatten schon mehr als 200 000 Besucher. Das ist sehr viel. Aber es ist ja auch kein typisches Musical mit eindimensional gestrickten Figuren.

 

Sondern? KAYA: Es ist ein sehr authentisch besetztes Stück. Viele der Darsteller sind wirklich aus der ehemaligen DDR. Da sind Leute, die von der Stasi drangsaliert wurden. Die haben all das erlebt und spielen sich quasi selber. Selbst bei den Licht- und Bühnentechnikern ist es so. Ich habe mich neulich noch mit einem Kollegen unterhalten, der Abend für Abend das Spotlight auf die Darsteller hält. Beim Mittagessen hat er mir erzählt, dass ihm jedes Mal die Tränen kommen, wenn er das Stück sieht, obwohl er ja schon zigmal dabei war. Und das macht „Hinterm Horizont“ auch für mich so wertvoll: Ich bin schließlich tief im Westen, in Leverkusen, geboren und damit fernab der DDR.

 

Sie sind Jahrgang 1977 und waren beim Mauerfall zwölf. Holen Sie also durch Ihre Rolle einiges an deutscher Geschichte nach?

 

KAYA: So ist es. Denn ich muss beschämenderweise zugeben, dass ich das ganze Thema erst durch meine Rolle so richtig mitbekommen habe. Aber damit stehe ich als 77er-Jahrgang ja nicht alleine da: Wir haben das als ganze Generation gar nicht mitgekriegt. So richtig erzählt hat es uns niemand. Hinzu kommt, dass ich in einem türkischen Haushalt aufgewachsen bin. Da war die DDR ohnehin kein Thema. Ich kann mich noch an eine witzige Situation erinnern, als ich meine Eltern fragte, was denn da los sei „im Osten“ – und sie dachten, ich meine Ost-Anatolien.

 

Wie haben Sie sich auf diese komplexe Rolle vorbereitet?

 

KAYA: Ich habe viel über die DDR gelesen. Und natürlich habe ich mir alle Udo-Songs reingezogen – das sind ja immerhin mehrere hundert. Ich wollte mir diese Geschichte regelrecht einverleiben.

 

Ist es Ihre bislang schwerste Rolle?

 

KAYA: Ja. Auch weil sie ein bisschen undankbar ist – was ich nicht negativ meine. Ich will damit sagen: Man kann bei dieser Rolle sehr, sehr viel falsch machen.

 

Weil sie mit Udo Lindenberg ein absolutes Unikum, eine Art „Kunstfigur“ spielen müssen?

 

KAYA: Ja. Das ist nicht einfach. Wir hatten eben nie das Vorhaben, eine Udo-Doppelgänger-Show zu machen, sondern wollten eine eigene Figur kreieren, die an ihn angelehnt, aber trotzdem eigenständig ist. Wenn man nur immer den Udo, wie man ihn kennt, hören würde (spricht so nuschelnd wie Lindenberg), dann würde man dieser Figur sehr schnell überdrüssig werden, eben weil sie nie wirklich Udo wäre.

 

Wie ist er denn nun so, der Udo Lindenberg?

 

KAYA: Er ist ein Mensch mit einem riesigen Herz und riesigen Ohren. Er bekommt alles mit. Und er begegnet einem immer auf Augenhöhe und lässt nicht den Rockstar raushängen. Im Gegenteil: Udo kommt regelmäßig vorbei und rockt auf der Bühne mit.

 

Hat er Sie denn schon zum obligatorischen Fläschchen Whisky eingeladen?

 

KAYA: Nein, er trinkt keinen Alkohol mehr.

 

Wie bitte?

 

KAYA: Ja, das stimmt. Okay: Ab und zu nimmt er mit uns ein Schlückchen Eierlikör, um die Stimmbänder zu ölen. Aber das war’s auch.

 

Trotzdem kann er doch sicherlich feiern wie kein Zweiter, oder?

 

KAYA: Wenn wir zusammensitzen, kann das tatsächlich verdammt lange werden. Vier, fünf Uhr morgens – das ist keine Seltenheit.

 

Hat er Ihnen Tipps für Ihre Rolle gegeben? KAYA: Oh, ja. Er hat mir gleich zu Beginn gesagt, ich müsse noch Nuschel-Unterricht nehmen und dürfe keinen Vibrator in der Stimme benutzen.

 

Würden Sie ihn mittlerweile als Freund bezeichnen?

 

KAYA: Ich wünschte, es wäre so. Aber Udo lässt wenige ganz dicht an seine Seele. Ich denke, wirklich kennenlernen werde ich Udo auch nie. Er hat da seine eigene Freundesstruktur: Da gibt es die „Panik-Zentrale“, von der er immer spricht. In der sitzen die „Geheimräte“, mit denen er immer zusammensitzt. Und dann gibt es noch die „Familie“, das ist eine Stufe darüber. Und das sind dann die Leute, die ihn wirklich in- und auswendig kennen. Ich gehöre eher zu den „Geheimräten“. Aber vielleicht werde ich noch befördert.

 

Ist Berlin für Sie als Leverkusener eigentlich wirklich jene „hippe“ Überstadt, als die es immer dargestellt wird?

 

KAYA: Das kann man schon sagen. Ich wohne im Bezirk Neukölln und da ist mächtig was los. Das laufen schon viele, hippe Leute rum. Aber wenn Sie mich jetzt sehen könnten, würden Sie auch sehen, dass ich das Gesicht verziehe. Denn das ist mir zuwider. Ich bin eher Fan von klaren Worten und Menschen, die geradeaus sind. Deshalb ist mir ja das Rheinland so lieb. Und deshalb wollen meine Freundin, die ja Düsseldorferin ist, und ich da auch irgendwann unseren Lebensmittelpunkt wieder hin verlegen. Zudem lebt meine Familie ja auch noch in Leverkusen, in Küppersteg und damit ganz in der Nähe dieses unfassbaren „Ufos“, das ich bei meinem letzten Besuch in der Stadt zum ersten Mal gesehen habe.

 

Wie haben Sie es eigentlich geschafft, diese Rolle zu bekommen? Haben Sie sich eine Gitarre geschnappt und den „Sonderzug nach Pankow“ gesungen?

 

KAYA: Nein. Ich habe einen Song der Rockband „Selig“ gesungen. Und ich habe einen kleinen Monolog des österreichischen Schauspielers Gabriel Barylli vorbereitet. Den kannte ich noch aus meiner Zeit beim Jungen Theater Opladen, das ich ja mitgegründet habe. Mensch, waren das Zeiten: Damals hatten wir ja nichts – keine Kostüme, keine Requisiten, gar nichts. Das war am Anfang Theater in seiner Urform, aber als solches einfach klasse. Naja: Jedenfalls denke ich, die Tatsache, dass ich auf diese Weise mein eigenes Ding durchgezogen habe, hat die Juroren überzeugt. Chancen hatte ich mir nicht ausgerechnet: Wieso soll denn ausgerechnet ein Deutscher aus Leverkusen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin den Udo spielen?

Quelle: ksta, 27.06.11