East-Side-Story mit Brüll-Rock’n’Roll
THEATER AM POTSDAMER PLATZ Udo Lindenberg trifft sein Mädchen aus Ostberlin in „Hinterm Horizont“
Es nuschelt bald in Berlin. Udo Lindenberg, Altrocker mit Hut, Eierlikör-Maler und berühmteste Sonnenbrille der Republik, bekommt sein eigenes Musical, „Hinterm Horizont“. Er, den die Stasi als „mittelmäßigen Schlagersänger der BRD, an dem kein Interesse besteht“ abfertigte. Ein typisches Musical wie so viele andere soll es nicht werden, Udo Lindenberg will eine Rock-Oper. Die startet am 13. Januar im Theater am Potsdamer Platz.
Die Geschichte von „Hinterm Horizont“ ist einfach: Erzählt werden Szenen aus Udo Lindenbergs Leben. Alles sei „nah an der Wahrheit“, bestätigt der Panikrocker. Beim legendären DDR-Konzert im Palast der Republik im Oktober 1983 trifft der junge Udo Jessy, sein innig besungenes „Mädchen aus Ostberlin“.
Die Liebesgeschichte um Ost und West, Mauer und Stacheldraht kann beginnen. Eine „Ostalgie-Komödie“ soll es aber nicht werden, verspricht Lindenberg, „eher eine East-Side-Story“, mit „ordentlich Brüll-Rock’n’Roll“. Die Musical-Liebe gibt es wirklich: Sie heißt im wahren Leben Manuela. Allerdings gab es für die beiden kein Happy End. Gemunkelt wird aber, aus der Beziehung der beiden sei ein kleiner Lindenzwerg hervorgegangen – auf der Bühne jedenfalls ist es so.
Regisseur Ulrich Waller wollte schon immer mehr aus Lindenbergs Liedern machen. Und der Rock-Opa, mittlerweile 64 Jahre alt, war von der Idee gleich begeistert: „Das ist unsere deutsche Story. Das wird bei vielen Erinnerungen wecken.“ Für das Drehbuch empfahl er den Berliner Schriftsteller Thomas Brussig („Sonnenallee“). Der schwamm vor dem Konzert 1983 extra durch die Spree, um dabei zu sein, allerdings erfolglos.
Jessy, das Mädchen aus Ostberlin, wird von einer jungen Pankowerin gespielt. Josephin Busch, 23 Jahre alt, wurde schon als Kind von der Mutter mit Udo-Liedern beschallt. „Die DDR bedeutet für mich Kindheit, Heimat, etwas Gutes“, erklärt sie. Über die Schattenseiten habe sie erst aus Büchern erfahren. „Ne echte Rockerin“, schwärmt Lindenberg. Den Bühnen-Udo gibt Serkan Kaya aus Leverkusen. Die Deutschrocklegende gespielt von einem Deutsch-Türken? „Passt“, meint der 33-Jährige, Udo habe doch schon immer die Bunte Republik Deutschland besungen. Der Altmeister ist jedenfalls zufrieden mit den Darstellern: „Die singen ohne Vibrator im Hals, ohne dieses übliche Musical-Gejaule.“
Ab und zu will er bei den Proben reinschneien, hat Lindenberg angekündigt. Um dabei zu sein, wenn das eigene Leben auf die Bühne kommt – die ein acht Meter breiter Hut dominieren soll, begehbar und drei Tonnen schwer. Schon bei der Konzeption und der Auswahl der Schauspieler hat er mitgeredet. Kaya galt als auserwählt, als Lindenberg im Sommer auf ihn zuging und ihn umarmte.
Für die heiße Phase vor der Premiere will der Panikrocker sogar von Hamburg nach Berlin ziehen. Wie lange er bleibt, ließ er noch offen. Er kann sich aber vorstellen, ein Museum mit seinem Lebenswerk in der Hauptstadt zu eröffnen. Einen Vorgeschmack darauf gibt es im Januar. Denn wenn auf der Bühne der Sonderzug nach Pankow losfährt, sind im Theater am Potsdamer Platz wieder Kunstwerke des Altrockers zu sehen, darunter Likörelle-Bilder und Fotos. Und natürlich einige der Stasi-Akten, die ihn einen pessimistischen Strolch nennen. Wie die Hüter des Sozialismus darauf kamen, erklären sie auch gleich mit: „Diese Haltungen spiegeln sich in seiner abgetragenen Kleidung, der Frisur, den Texten seiner Lieder sowie im Verhalten gegenüber anderen Schlagersängern der BRD wider“, steht in seiner Akte.
Im Musical legt die Stasi dann noch einen drauf: Die Udo-Manie soll ein Lindenberg-Doppelgänger stoppen, ausgesucht ganz zeitgenössisch per Casting.
Quelle: Tagesspiegel, 23.12.10