Mit deinem Star älter werden: Marius Müller-Westernhagen spielt unplugged in der Volksbühne. Und Regisseur Fatih Akin filmt ihn dabei
"Ist hier 'ne Beerdigung, oder was?" Der Brezelverkäufer schaut irritiert. Es ist ja auch ein bisschen bizarr. Die Menschen, die an diesem Sonnabend Abend zur Volksbühne pilgern, sind fast alle schon jenseits der 50 und in Schwarz gekleidet. Der Mann, wegen dem sie heute abend hier sind, hat sich diesen Dresscode gewünscht. Marius Müller-Westernhagen, 67. Auch er einer, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere im schwarzen Edel-Zwirn gefiel, bevor er den Armani-Marius vor zwei Jahren in die Wüste schickte und die ausverkauften Stadien gegen kleine Clubs vertauschte.
Back to the roots, das ist seine neue Marschrichtung. Rau und respektlos. Dazu passt die Volksbühne als Ort für das, was er heute Abend vorhat. MMW spielt "Unplugged" für MTV. Der Mann, der mit 14 Millionen verkaufter Schallplatten auf Platz drei der erfolgreichsten Künstler in Deutschland steht, nach Herbst Grönemeyer und Phil Collins, hat ein "Best of " seiner Songs neu arrangiert für akustische Instrumente. Kammerspiel statt Karacho.
Als habe MTV die Zeit zurückgedreht
Und dann geht der Vorhang auf, eine halbe Stunde später als erwartet, aber mein Gott, das Publikum ist mit MMW älter und ruhiger geworden. Es sitzt nicht, nein, es liegt in Sitzsäcken. Ältere Herren, die Armani tragen oder die alte Lederhose, so die noch passt. Vor dem Konzert haben sie Gruppen-Selfies geschossen. Jetzt fläzen sie sich in den Säcken und wippen mit der Fußspitze, wenn der Funke von der Bühne überspringt. Und das dauert nicht lange. MMW lehnt lässig in Jeans, Boots und Hut auf einem Barhocker.
Er wird eingerahmt von zwei Gitarristen, die aussehen wie die Söhne von Bob Geldof und Keith Richards. Und nach einem ruhigen Intro ist es plötzlich so, als habe MMW die Zeit zurückgedreht, sei wieder Mitte 20 und gröhle mit Tausenden im Stadion: "Geiler is' schon" oder "Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz".
Und dann steht auch noch Udo Lindenberg auf der Bühne
Nur dass man an diesem Abend eben im Sitzsack liegt und es sich zweimal überlegt, ob man aufsteht, denn man ist ja keine 20 mehr. Aber die echten Fans erkennt man daran, dass sie plötzlich wie junge Rehe aus den Säcken hüpfen. Und das gehört sich auch so, wenn der erste Überraschungsgast aufploppt. Es ist Udo Lindenberg, und er darf ein bisschen trommeln. Westernhagens WG-Genosse aus Hamburger Tagen. Einer, der irgendwann zur Karikatur seiner selbst geworden ist.
Westernhagen ist das nicht passiert. Der Mann, der als Schauspieler begann ("Theo gegen den Rest der Welt"), hat die Kurve gekratzt. Als er merkte, dass er seine eigenen Hits nur noch mit Ironie ertragen konnte, hat er sich von seinem Management getrennt und nur noch das gemacht, worauf er Lust hatte. Neue Songs wie "Alphatier" waren jetzt nicht mehr so erfolgreich, aber wen kratzt das, solange er mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen kann?
Demnächst kommt ein neues Album
So ein MTV- Unplugged-Konzert kommt da wie gerufen, als Krönung des Spätwerks. Mit Geige, Mandoline, Akkordeon, Flöte, mit Background-Chor, seiner neuen Freundin Lindiwe Suttel und Tochter Mimi als Begleitsängerinnen. MMW zeigt, dass man sich treu bleiben kann, indem man sich verändert und seine Songs neu verkleidet. "
Leider fördert dieser Abend aber auch seine größte Schwäche zutage. Denn mit MMW ist es wie mit Grönemeyer. Er kann nicht singen, nur knödeln. Doch genau dafür lieben ihn die Fans. Der Mann ist eben authentisch. Und so nahe wie an diesem Abend war er ihnen vielleicht noch nie. Nur die Spidercam störte da ein wenig. Sie flog über ihren Köpfen durchs Theater. Regisseur Fatih Akin ("Gegen die Wand") dreht einen Film über das Konzert, und MTV strahlt ihn im Herbst aus. Von wegen: Beerdigung. Demnächst gibt es ein neues Album. Den Stecker zieht Westernhagen nur für MTV.
Quelle: mopo, 18.07.16