Blue Flower

Als ob Udo Lindenberg einen parodiert, der Udo Lindenberg parodiert

So, so, Udo. Jetzt sind also Lindenberg-Festwochen. Los ging's vor ein paar Wochen mit dem neuen Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre, das in großen Teilen und bis in den Titel "Panikherz" eine rührende Hommage an seinen Freund, Mentor und Retter Udo Lindenberg ist. Dann gab's mit der neuen Single "Durch die schweren Zeiten" einen ARD-Primetime-Auftritt beim Echo. Eine große Fernseh-Doku steht an. Heute erscheint das neue Album "Stärker als die Zeit" (Warner). Und am 12. Mai wird zum siebzigsten Geburtstag noch mal die ganz große Udo-Show abgefahren. Holy Udo, logo, ne.

Wurde auch schon ein böses Wort verloren? Nee, nee. Einstweilen liegen ihm alle zu Füßen, gleich neben seinen grünen Strümpfen. Die Welt promovierte ihn, "den Menschen, der menschlicher nicht sein könnte", zum Gegenkanzler der geistig-moralischen Wende Kohls in den Achtzigern. Der Spiegel findet ihn als "einzigen deutschen Rockstar" sowieso unglaublich. Die Zeit hält's auch alles für "herausragend". Und für den Rolling Stone ist der "Deutschrock-Pate" eh ein "Spektakel", eine Attraktion "jenseits des Geschmacks", und einfach "unfassbar spektakulär".

 

Die Tonspuren dieses Werks haben selten überzeugt - das ist der Preis der Popularität

Wenn man das Album allerdings ungetauft hört, fällt einem unglücklicherweise eher sofort die unfassbare Seichtigkeit der Musik auf. Die spektakuläre Einfallslosigkeit, die einem da zwischen die Ohren gelegt wird . Das soll Rockmusik sein? Vom sagenhaften Panikorchester? Nee, nee. Wenn's gut läuft, ist das eine zeitlos dünne Top-40-Soße. Von vergreisten deutschen Studiofacharbeitern mit zu vielen Silberschmuck-Totenköpfen an den Fingern im Stil einer ZZ-Top-Coverband auf Autopilot unerträglich routiniert zusammengedudelt. Hart an der Grenze zum - ja, was eigentlich? - Nichts?

An ganz anderer Stelle, in einem Band mit ihren Lieblingstexten von Lindenberg, hat Benjamin von Stuckrad-Barre im Gespräch mit seinem Co-Herausgeber Moritz von Uslar einmal auf die Frage, ob Lindenberg denn eigentlich cool sei, geantwortet: "Sein Weg war der Weg der Popularität - den schafft ja nicht der, der bloß cool ist." Stimmt schon. Die Tonspuren dieses Werks überzeugten selten. Vielleicht muss man sich da insbesondere in der Pop-Dias-pora Deutschland einfach entscheiden. Die Soße muss den Gästen schmecken, nicht dem Koch. Oder irgendwelchen lästigen kritischen Zaungästen. Wenn man nicht 100, sondern lieber 100 000 vor der Bühne haben will. Aber ein bisschen bitter ist es schon auch. Nur für's Protokoll.

Weil man ansonsten ja wirklich auch als Ungetaufter aus der Ferne bereit ist, den Mann sofort nach ganz oben zu sortieren. Ihn im Zweifel sogar immer, immer wieder zu verteidigen gegenüber den Verständnislosen und Verächtern. Nur bitte nicht, weil er doch ein so bedeutender Dichter sei, in einer Liga mit Tucholsky, Ringelnatz, Jandl, Kästner, Gernhardt. Das wird hier und da ja gerne behauptet. Ist aber Unfug. Weil: ganz falsche Fährte. Lieber nicht einfach so vergleichen. Lindenberg macht ja seinen eigenen Wortsport. Und wenn schon, dann spielen die genannten Herren nicht in seiner Liga. Was man übrigens schon daran erkennen kann, dass man Udo-Lindenberg-Lyrik sehr häufig auch gar nicht einfach so lesen, geschweige denn vorlesen kann, ohne im Schauerschacht der Banalität zu landen.

Man nehme nur zum Beispiel mal diese Zeilen aus "Einer muss den Job ja machen" vom neuen Album (an denen laut Liner-Notes übrigens auch Stuckrad-Barre mitgeschrieben hat): "20 Jahre Suff und weg / dann war er ready für sein Comeback / trainierte sich die Plauze weg / und wurde schnell wie Emil Zatopek / Zog easy den Joker aus der Tasche / und wurd zum Phönix aus der Flasche". Genau besehen ist das ganz schön mau bis gerade so okay. Oder sogar auch gerade nicht mehr okay. Kleines, lustloses Wettreimen, dazu bisschen Udo-Folklore - easy, ready, Joker -, und hintenraus noch ein Sprichwort-Kalauer. Na ja. Als ob Udo Lindenberg einen parodiert, der Udo Lindenberg parodiert.

Aber wenn er es auf der Platte dann so, man muss wohl sagen: serviert, weil er ja meistens weder richtig singt, noch richtig spricht, dann ist das schon große Klasse. Und verweist auf das große Missverständnis, dem ungefähr 99,9 Prozent aller Udo-Parodisten auf den Leim gehen.

"Zwannzichahröh Suv und wähähääk"

Aber dazu gleich. Erst mal weiter bisschen den paar Zeilen auf der Aufnahme hinterherlauschen. Man ist dann nämlich sofort ganz tief drin im irren Udo-Easy-Deutsch und ganz nah dran am tatsächlich unvergleichlichen Sprachkünstler Lindenberg, den jeder, also wirklich jeder, der ein Herz, ein Hirn und zwei Ohren hat, und den die kantige Exaktheit des Deutschen schon mehr als einmal zur Verzweiflung gebracht hat, mindestens lieben muss.

Es geht ja schon beim ersten Wort der ersten Zeile los: Zwannzichahröh! Genau so: leicht raunend verwischt, aber nicht weggenuschelt, locker glasklar. Das Reizwort "Suff" wird danach natürlich runtergespielt, klingt eher etwas gesäuselt, wie "Suv", der Akzent liegt dann auf dem "weg", also vielmehr dem virtuos verschleppten "wähäh-ääk". Wir lesen also: "20 Jahre Suff und weg". Aber wir hören: Zwannzichahröh Suv und wähähääk. Und dazwischen liegen, von der lustigen Notierung darf man sich nicht täuschen lassen, etwa zwei bis drei Universen und dreitausend Möglichkeiten, es zu vergeigen. Nicht jede Zeile des Albums rettet die Udo-Massage, aber viele. Andere sind einfach so gut. Und man denkt an die großartige Fassung seines alten Songs "No Future" aus den Neunzigern, die mit dem Hip-Hop-Kollektiv Freundeskreis entstand und "You Can't Run Away" hieß, und wünscht sich für den Mann endlich einen Produzenten wie Rick Rubin, der einst Johnny Cash an den Kern seiner Kunst erinnerte und so einige der besten, wenn nicht die besten Cash-Aufnahmen möglich machte.

So zu sein wie er - das ist ein Zustand höherer, traumwandlerischer Klarheit

So, und jetzt zum Kardinal-Missverständnis des Udo-Parodisten. Es besteht darin, dass man glaubt, man müsse, um Udo Lindenberg nachzumachen, so tun, als sei man sturzbetrunken. Ganz falsch. Udo Lindenberg zu sein ist - so weit man das beurteilen kann - offenbar ein Zustand höherer Klarheit, die man womöglich traumwandlerischen Durchblick nennen muss. Dem Laien steht ein Rausch dabei notwendig im Weg, er lallt dann nur noch, was spätestens nach dem vierten Glas ja ohnehin jeder kann.

Höhere Klarheit wäre dagegen, den Menschen als den Patienten zu erkennen, der er ist. Oder wenigstens als den ewigen Patientenangehörigen. Dann die ewige Arzt-Weisheit noch im Kopf zu haben, dass im Grunde jeder Mensch beruhigt werden will, vor allem Patientenangehörige, und die Wahrheit niemand wissen will, schon gar nicht die Angehörigen. Und dann auch noch den Ton zu treffen. Aber eben nicht diesen schlimm beschwichtigenden, bei dem hinter jedem Wort unverhohlen der Abgrund lauert, sondern den tröstenden Ton des ehrlich mitfühlenden Komplizen (auch so ein fantastisches Udo-Wort), bei dem jedes Wort den Abgrund etwas kleiner, cooler, runder macht.

Bei dem - schnackedischnack, döödöbdööödüm - die Nachtigall mit charmantem Größenknall tänzelt und schleicht, oder irgendwie auch einfach mal'n bisschen schwindlig durchhängt und die Testzigarre jongliert, bevor sie irgendwann endlich Zeit hat, zu gucken, was so los ist, was abgeht, ne. Noch die härtesten Abstürze jongliert (noch so ein grandioses Udo-Wort) er in Interviews ja in Sätze wie diese: "Ich war ja der Exzessor, und dann musste eben mal der Arzt kommen und den Astronauten wieder auf Bodenstation bringen. Kurz mal Quarantäne, drei Tage Krankenhaus und so. Und nach gelungener Entgiftung wurde dann weitergeflogen."

Wenn einen nicht alles täuscht, dann wär's gar nicht so schlecht, wenn diese so unendlich freundliche, angenehmisierende (Stuckrad-Barre), aber den Realitätssinn eben gerade nicht vernebelnde, sondern schärfende Kunst in diesen unfreundlichen Zeiten noch einmal groß herauskommt. Es lebe die Udopie, hehe, ne.

Quelle: sz-online, 29.04.16