Udo Lindenberg und das Alter
Ein trauriger Trend 2016 war das Sterben von Rocklegenden. Udo Lindenberg verweigert sich ihm standhaft. Ein Jahresendbesuch im Hamburger Hotel Atlantic.
Neulich war Udo Lindenberg tot. Nicht lange, und auch nur auf Twitter. Ein Witzbold hatte dort den Hashtag #RIPUdoLindenberg in die Welt gesetzt. Lindenberg dementierte nachmittags, gleich nach dem Aufwachen. Allgemeines Aufatmen. Man muss ja mit dem Schlimmsten rechnen in diesem Jahr. David Bowie tot, Leonard Cohen tot, beide kurz nach Erscheinen ihres letzten Albums. Lindenberg ist vielleicht nicht Bowie. Aber immerhin Deutschlands bester Sänger ohne Stimme. Auch er hat 2016 eine Platte herausgebracht, die erste nach acht Jahren Pause, ist nach Fertigstellung aber, anstatt zu sterben, auf Stadiontour gegangen. Weil es davon nun eine DVD gibt, hat der 70-Jährige ins Hamburger Hotel Atlantic eingeladen, seinen Wohnsitz.
Im hauseigenen Kino zeigt er Ausschnitte. Lindenberg, Markenbotschafter seiner selbst, gurgelt Eierlikör, nuckelt an einer Zigarre, "hallöchen", "keine Panik", die komplette Udo-Folklore, und wenn er mal kurz raus muss zum Telefonieren, hat er jemanden, der den Stumpen durch Weiterrauchen am Glimmen hält. Danach ist Gelegenheit zum Vieraugengespräch: zwei Augen, eine Sonnenbrille.
Was hat das Wegsterben der großen Kollegen in diesem Jahr mit ihm gemacht? "Das hat geschockt. Und echt geschmerzt", sagt Lindenberg. Prince und Cohen habe er nicht persönlich gekannt. Lemmy Kilmister schon. Ebenso Bowie, zu dessen Berliner Zeit, "er und ich, wir waren Freunde und Rivalen, es ging um Romy Haag, die damals schönste Frau Berlins, das fanden wir beide".
Aus der Nähe wirkt Lindenberg nicht wie eine Fantasyfigur, sondern wie ein Mensch, weich und zugewandt. Zugleich ist er ein Meister der Abschottung. Hut und Brille schützen ihn, Intimsphäre to go. Seine Kunstsprache hat eine ähnliche Funktion. Er kann über Persönliches sprechen, ohne persönlich zu werden.
Über den Tod redet Lindenberg, als wäre er ein Comic-Held und sein Erscheinen ein Abenteuer. "Ich bin ihm ja schon oft begegnet, mit 4,3 Promille und Blutwäsche und so. Ich hab so eine Vision, dass er manchmal hierher in die Bar kommt, und ich sag: Gevatter, komm in ein paar Jahren mal wieder, ich muss hier noch weitersingen."
Lindenbergs Antworten sind immer stringent, auch wenn sie nicht zwingend mit der vorangegangenen Frage zu tun haben. Er komponiert sie wie Songs, aus den bekannten Lindenberg-Themen. Alle paar Minuten repetiert er das Leitmotiv, den "Phoenix aus der Flasche"-Topos, wie er über Jahre versuchte, "mich nach vorne zu trinken", "in den Katakomben der Erleuchtung", "als Alkoholstudent". Und sein Körper sagte, "Alter, das geht so nicht, sonst machen wir die Biege. Dann hab ich aufgehört mit der Sauferei und die Drogen minimiert."
Ein anderes, von ihm gern platziertes Thema ist die Freude über den derzeitigen Erfolg. "Das ist ein goldenes Lebenskapitel." Stadien füllt er ja erst jetzt, im vorgerückten Alter: "Ein Menschenmeer, zum Fürchten schön. 50.000 Leute, und trotzdem entsteht da eine totale Intimität, Familiy-Feeling, das wusste ich vorher nicht. Das geht den Leuten ganz tief ein - und mir auch. Ich höre meine Stimme aus der Monitorbox, und dann rührt mich das derart an, die Texte und so, und manchmal muss ich eine kleine Pause einlegen, eine Tränenpause."
Angst, dass es auch mit ihm bald vorbei sein könnte? Zumindest künstlerisch? Früher, in der Anfangszeit, sei die Angst größer gewesen, "dass dieser schöne Traum bald vorbei ist", sagt Lindenberg erst. Später räumt er ein, er habe nach der Stadiontour und drei Nummer-eins-Platten in Folge schon "leichte Ängste, man könnte das nicht wieder nicht hinkriegen, aber nicht große Angst". Aber doch Angst? "Angst ist übertrieben. Ein bisschen Nervenzappel, Adrenalin-Kick und so. Das kann ja ganz belebend wirken."
Schon fast in der Helmut-Schmidt-Liga
Auf dem Smartphone liest Lindenberg einen Kommentar im "Hamburger Abendblatt". Dessen Chefredakteur fordert im Tonfall eines Leitartikels zur inneren Sicherheit, Hamburg müsse Lindenberg endlich würdigen, ihn zum Ehrenbürger machen. Oder ihm wenigstens ein Senatsfrühstück ausrichten wie kürzlich dem ebenfalls 70 gewordenen früheren SPIEGEL-Chef Stefan Aust. Lindenberg sagt, wichtiger sei ihm die Wertschätzung der Leute auf der Straße.
Ohnehin ist er längst größer als der schon sehr große Aust, fast schon Helmut-Schmidt-Liga. Weiser Raucher, dessen Verehrung mit zunehmendem Alter exponentiell steigt. Wie einst Schmidt teilt Lindenberg sich der Außenwelt inzwischen häufig mittels eines jungen Helfers mit. Beim Altkanzler erledigte diesen Job der Chefredakteur der "Zeit", Lindenberg hat dafür den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, Schatten seiner späten Jahre, platonisches Edel-Groupie, Chronist auf Schritt und Tritt.
Stuckrad-Barre hat nach der Autobiografie "Panikherz", einem Manifest seiner Udomanie, gerade ein eher seltsames Lindenberg-Lexikon herausgebracht, in dem es um dessen grüne Socken geht oder seine Angewohnheit, überall hinzuaschen, auch auf den Teppich seiner Hotelsuite. Bei der DVD-Vorstellung ist Stuckrad-Barre nicht zugegen. Saugt wahrscheinlich gerade die Suite.
Lindenberg-Jahr 2016. Die Tour, die DVD, die ARD-Dokumention zum 70. Geburtstag, Hymnen in allen Blättern, die Stuckrad-Elogen. War es nicht etwas viel Weihrauch in den vergangenen Monaten? "Nö", sagt Lindenberg, "ich find das schön, auch mit Stucki und dem Buch."
Noch zwei intime Fragen. Ist der Hut eigentlich festgetackert? "Nö, der schmiegt sich so an." Sieht die Welt dunkel aus durch die Brille? "Nein, ich seh sie ganz klar, ich kann damit lesen, aber auch in die Ferne schauen." Vielleicht ist das die Nachricht des Tages: Udo Lindenberg trägt eine Gleitsichtbrille.
Quelle: Spiegel-Online, 30.11.16