Blue Flower

Markenikone Udo Lindenberg im Interview:

„Ich wollte vom ersten Tag an, dass so viele Leute wie möglich mitkriegen, dass es mich gibt“

Seine Markenzeichen sind Hut, Sonnenbrille und grüne Socken. Mehr braucht es nicht, um eine Ikone zu erkennen. Udo Lindenberg beherrscht die Klaviatur der Markenführung wie kein Zweiter und erhielt dafür dieses Jahr den Marken-Award. Die absatzwirtschaft traf das Multitalent zum exklusiven Interview in seiner gerade eröffneten Panik City auf St. Pauli

Beim Interview sitzt Udo Lindenberg (72) im Schmidt Theater unten im Café. Der Panikrocker hat die Macher der Panik City mitgebracht: Panik-City-Geschäftsführer Axel Strehlitz und Damian Rodgett, Managing Director bei Pilot Screentime. Udo Lindenberg spricht leise, aber bestimmt. Er trinkt Tee und raucht unablässig seine E-Zigarre – eine Empfehlung seines Arztes, denn er will, ja er muss, hundert Jahre alt werden. Das hat er schließlich seinen Fans versprochen. Während er erzählt, lotst er via Smartphone seinen Freund Benjamin von Stuckrad-Barre zur Panik City. „Stucki“, wie er den Schriftsteller nennt, hat die Erlebniswelt noch nicht gesehen.

Wie waren die ersten Reaktionen des Publikums auf die Panik City?

UDO LINDENBERG: Gigantisch. Jubel, Trubel, Heiterkeit, also total positiv. Darüber freue ich mich wahnsinnig. Wir hatten vorher ja keine Ahnung, wie so ein experimentelles Projekt ankommt. Aber dass es vom Start weg mit all den Hightech-Einbauten und -Konstruktionen funktioniert, hat uns alle mega gefreut. Es war eine Riesenherausforderung, dass die Besucher auf dem Tablet mit mir zeichnen oder im Studio mit mir singen können. Ein Daniel-Düsentrieb-Museum, einfach geil gemacht. Die Leute sind happy. Die kommen raus und lächeln. Das ist für mich das schönste Ergebnis überhaupt.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf St. Pauli eine Lindenberg-Erlebniswelt zu starten?

Den Gedanken daran gab es schon länger. Am Anfang ging es um meine Bilder. Ich habe große Bilder, Ölmalerei, Bühnenbauten aus all den Jahren, Klamotten, Filme. Als wir dann mal wieder intensiver darüber sprachen, kam mir mit Corny Littmann die Idee: Wir machen Hightech. Uns war klar, dass es etwas Besonderes sein sollte: ein Abenteuer-Erlebnis-Meeting mit Udo.

Hatten Sie nicht die Befürchtung, dass Sie sich mit einer Dauerausstellung lebendig konservieren?

Nein. Udo ist ja eine lebende Legende. Die Panik City soll zudem Experimentierstätte für die Weiterentwicklung von Showtime und digitaler Technik sein. Eine Raketenstation zur friedlichen Erforschung des Udoversums. Motto: Immer mehr Hightech, immer auf dem neuesten Stand. Technik entwickelt sich ja geradezu sekündlich weiter, mindestens minütlich gibt es irgendwo auf der Welt was Neues. Wir wollen da mit der Panik City pioniermäßig wieder einen vorlegen. Wir sind ja junge Pioniere. Das ist die einzige Inspiration, die ich aus der DDR-Welt mitgenommen habe. In jeder Hinsicht müssen wir immer die Ersten und die Schnellsten und die Einfallsreichsten sein.

 

Nach dem Interview wird er mit uns in die Panik City gehen. Die Aufregung ist groß: „Bist Du echt oder ein Double?“, wird er gefragt. Jeder will ein Foto mit ihm. Er macht mit jedem ein Foto. Er läuft die komplette Führung über 90 Minuten in der Panik City mit – begleitet von „Stucki“. Zwischendurch wendet er sich an einzelne Besucher und Fans: „Wir müssen den Sound noch ein bisschen fetter machen“, sagt er zum Beispiel. In den nächsten Tagen würde man da noch rangehen. Der „behütete“ Hüter der Marke achtet auch auf die Details. Immer wieder spricht er mit den Machern der Panik City. Auch mit dem weiblichen Tourguide ist er im Dialog. Seltsam ist, wenn der Mensch, wegen dem die Erlebniswelt gebaut wurde, live auch noch einmal da ist. An der ersten Station „beschwert“ sich direkt ein Fan: Man wisse gar nicht, wo man hinschauen soll: zu ihm, der sich live auf dem Sofa in der letzten Reihe lümmelt, oder nach vorne auf die riesige 180-Grad-Leinwand, wo der Maestro seine Geschichte erzählt.

Sie sind jetzt seit bald sechs Jahrzehnten im Musikgeschäft. Was macht eigentlich die Marke Udo Lindenberg aus?

Da ist die Zuverlässigkeit, da ist die Innovation. Vielleicht nicht ständig was Neues, aber im Kern halt die Authentizität als roter Faden. Na klar, der Look natürlich auch, es rennen ja viele rum mit meinem Markenlook als Apostel.

In der schnelllebigen Musikbranche hat man den Eindruck, Sie seien irgendwann vom Künstler zur zeitlosen Ikone geworden. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das erste Ding war gutes Aussehen. Mein frech-gutes Aussehen. Das ist natürlich auch Glücksache, von meinen Eltern mitbekommen, von meiner sehr schönen Mutter Hermine zum Beispiel. Und gute Gene habe ich mitgekriegt. Also lecker aussehen war immer schon irgendwie ein Vorteil in diesem Gewerbe. Denn das Auge hört ja mit.

Jetzt mal ernsthaft: 1973, als Sie den Durchbruch zum Star schafften, war da erst einmal ein ziemlich durchgeknallter Typ, der seltsame Texte bringt. Von da an zu einem richtigen Markenbild war es doch ein weiter Weg. Heute braucht man nur die Sonnenbrille und den Hut zu sehen und weiß genau: Das ist Lindenberg.

Ja klar, da war ein weiter Weg. Erst kam die Panikschnalle im Onkel Pö. Gottfried Böttger bekam eine Pianistenschnalle, ein anderer hatte eine Geige auf dem Gürtel. Und ich hatte dann die Panikschnalle, und plötzlich liefen ganz viele damit rum. Ein bisschen später kam der Frack. Auch Gamaschen habe ich getragen, fand ich damals schick, so als kleiner Gruß an New York, an Gamaschen-Harry. Dann kamen dicke Ringe und der Spruch „Küss meinen Ring“. Für mich ist es okay, wenn andere einfach im Pullover auf die Bühne gehen, das hat Kurt Cobain ja auch gemacht. Nur war seine Musik eben so grell, da war es egal, wie der aussah. Mir ging es aber darum, Lieder auch in Kostüme oder in Figuren umzusetzen: So gab es den Vampir oder Elli Pyrelli. Da wurde dann eine pompöse Dame gesucht, untenrum athletisch und mit einer Teutonenstimme.

Für mich ist es okay, wenn andere einfach im Pullover auf die Bühne gehen, das hat Kurt Cobain ja auch gemacht

Das waren dann erste Markenzeichen …

Genau. Zum Beispiel auch der Zwerg, den wir auf die Bühne holten. Das passierte einfach. Da kam einer ins Onkel Pö und fragte: „Ey, brauchst noch einen Zwerg? Bin klein gebaut. Ich kann eine Rolle rückwärts, ich kann auch Salto und Salto mortale.“ Und ich sagte: „Führ mir das mal vor.“ Er grinste breit, machte irgend so einen Salto und flog auf die Fresse. Ich sagte: Okay, geil. Engagiert.

Die Erlebniswelt ist kein Zufall: Inszenierung ist sein Ding. Er kommt Ende der 1970er mit dem großen Bühnenregisseur Peter Zadek zusammen, der die 1979er-Tour inszeniert. Lehrjahre für den noch jungen Lindenberg.

Und danach kam das Theater …

Jemand brachte mich mit Peter Zadek zusammen. Das war wieder pioniermäßig. Sein Theater und ein Rockstar mal zusammen, die Fusion von Theater und Rockshow. Mal gucken, was dabei rauskommt. So entstand die Dröhnland-Symphonie. Da sind dann auch alle meine Leute dabei, meine Panikfamilie, also von Elli Pyrelli über den kleinen Felix, Ole Pinguin, so alle meine Figuren, Fabelwesen und ein paar aus der damaligen Zadek-Family. Das war ein hochinteressantes Ding, ich habe mit dieser Show sehr viel gelernt. Und sie war ein Erfolg, auch für Bildungsbürger. Zum ersten Mal war ich ein Fall für das Feuilleton. Vorher ging’s ja irgendwie immer nur um Rock ’n’ Roll in Clubs und Randale und so. Und Saufen und Kundendienst und so. Saufen, Frauen, Sex und Rock ’n’ Roll. Und plötzlich war ich einer für die Bildungsbürger und hatte einen Auftritt in der Olympiahalle in München. In der Folge habe ich alleine mit anderen Leuten solche Shows weiterentwickelt. Die Götterhämmerung, die Odyssee-Show und später die Atlantic Affairs. Aber all das hätte ich nicht machen können, ohne bei Zadek in der Lehre gewesen zu sein.

Was war dabei der Ausgangspunkt? Um jeden Preis anders und einzigartig zu sein? Im Marketing geht es häufig um Markendehnung und Zielgruppenerweiterung. Waren diese Shows damals ein bewusster Schritt in diese Richtung?

Nicht unbedingt. Aber wir nahmen diesen Effekt gerne mit und wussten: Indem wir neue Sachen machen, erreichen wir neue Leute, die nie in eine Rockshow gehen würden. Und so war es dann auch. Ich wollte vom ersten Tag an, dass so viele Leute wie möglich mitkriegen, dass es mich, dass es uns gibt. Deswegen habe ich auch ein ganzes Instrumentarium an Medien genutzt. Dazu gehörten Zeitungen, die damals, sagen wir mal, nicht gern gesehen waren in der Szene. Mir war das egal. Jeder soll wissen, dass es uns gibt. Keine Panik, alles klar. In Deutschland gab es damals nur Schlagerscheiß oder eben Liedermacher. Und später eine Spezialistenszene für Hausbesetzer und dergleichen. Das war mehr so Underground. Ich wollte dagegen ein Breitensportler sein. Das passte gut, ich war ja selber auch oft breit und dann eben auch noch einer für die breite Masse.

Ich wollte vom ersten Tag an, dass so viele Leute wie möglich mitkriegen, dass es mich, dass es uns gibt.

Wie funktionierte das mit der Abgrenzung für die Medien?

Es ging um irgendeinen frühen Song, den ich gemacht hatte. Da rief der Thomas Heck an, von der ZDF-Hitparade, damals eine Institution. Mann, das hat mich richtig erschreckt. Meine Antwort war eine Attacke: Macht euern Scheiß mit Heino, macht euern Scheiß alleino. Ich wollte die Schlagerlobby in Panik, Angst und Schrecken versetzen, eine Schneise der Verwüstung ziehen, als Captain Cool.

Er ist der Meister der Kooperation, über Grenzen und Genres hinweg.  Das Wort „Featuring“ hätte von ihm stammen können. Projekte mit Peter Zadek, Eric Burdon, oder in jüngerer Zeit mit Jan Delay oder Clueso: Udo ist passionierter Netzwerker. Damit hat der Panikrocker immer wieder seine Zielgruppe erweitert. Die meisten Musikkarrieren gelangen aber früher oder später in ihre Reifezeit, der Stil ist beim Publikum out, der Star dann schnell weg vom Aufmerksamkeitsfenster.

Warum gelingt es Ihnen, über Jahrzehnte und über mehrere Altersklassen im Geschäft zu bleiben?

Weil ich ein neugieriger Vogel bin und keine Neigung zur Selbstgefälligkeit oder zum Zurücklehnen habe, egal, was ich bereits erreicht habe. Darüber freue ich mich, klar, aber ich muss nach vorne gehen. Ich treffe ständig neue und junge Leute. Ich lebe praktisch auf der Straße, ins Hotel gehe ich immer nur zum Pennen. Und ich gehe viel in Konzerte von jungen Leuten, Jan Delay, zum Beispiel, Clueso oder Jenni Rostock. Mit all denen habe ich einen guten Draht, wie unter Kollegen oder Freunden. Das gilt auch für die große Pop- und Rap- und Hip-Hop-Familie in Deutschland. Ich habe diese Kontakte immer gepflegt. Wir machen Songs zusammen und inspirieren uns gegenseitig. Und schon entsteht ein anderer Groove, ein neuer Rhythmus, wo jeder mit muss.

Das klingt alles zufällig und spielerisch.

Bei Clueso und „Cello“ waren es mein Spiel und mein Sound in Kombination mit einem jungen Künstler. Meine Stimme ist eine Trademark, damit habe ich wirklich Glück gehabt. Darein habe ich viel Whisky und Zigarren investiert, aber nicht eine Sekunde Gesangsunterricht. Ich wollte meiner Stimme den Charme der Straße nicht nehmen, wollte, dass sie klingt wie ein rauer Straßenwind, nach echtem Leben. Ich kam erst gar nicht in die Versuchung, lange Töne zu halten oder mit Vibrator im Hals zu singen. Ich wollte jemand sein, der sich als Nichtsänger auf die große Bühne traut. Damit die Leute sagen: Wie der singt, so würde ich wahrscheinlich auch klingen. Das war meine Story: unsere Straßengeschichten, das echte Leben. Etwas zum ersten Mal zu machen, ohne dass man weiß, wie es geht. Das sind Themen, die auch viele Jugendliche haben, und so habe ich auch die erreicht. Schulstress, Abhauen von zu Hause, Tramperlieder singen. Die sind heute noch so, wie wir damals waren. Aber die neuen Einflüsse waren genau so wichtig: Nie stehen bleiben, immer weitermachen, bis heute. Gerade bastele ich an einem Lied über den Komponisten Robert Schumann.

In Ihrer Karriere gab es nach den Erfolgen auch einen Knick. Es schien nichts mehr zu gehen. In der Markenwelt würde man in einer solchen Situation das Produkt vom Markt nehmen oder diesem einen Relaunch verpassen.

Ich hatte nie eine totale Auszeit, aber zumindest ein bisschen. Ich habe mich der Malerei gewidmet. Ich habe zwischendurch auch Platten aufgenommen, da waren auch gute Sachen dabei. Aber es wurde nicht mehr so zur Kenntnis genommen. Das waren zum Teil auch schwierige Zeiten. Ich habe experimentiert, zum Teil mit schwierigen Themen, bei Atlantic Affairs ging es um die Verfolgten der Nazi-Zeit, auch das KZ Theresienstadt. Irgendwann fragte ich mich: Wie mache ich denn auf die Dauer so weiter? Wie stelle ich mich auf die Bühne, wenn ich 60 bin? Das war in meiner Berufstrinkerzeit, ich war schwer alkoholisch und sagte mir: Andere denken nach, wir denken vor, ein bisschen krisenbetont auch. Hauptberuflich war ich eigentlich Trinker, Schluckspecht. Ich hatte noch nicht den Trick raus, wie ich mich nach vorne beuge und wieder hochkomme. Mir wurde aber klar: Du musst die Sauferei einstellen, denn du bist zu sehr Exzessor. Ich trank ja auf St. Pauli und nicht in einem Ortsteil namens Maßen. Da war ich ja noch nie, in Maßen. Was ich auch mache, ich neige zum Exzess.

Ja. Es waren aber auch wertvolle Erfahrungen in den Außenbezirken des Lebens, in Ausnahmesituationen, in Niemandsländern, die Du durch Nebelwände siehst. Das war durchaus interessant. Und es waren Quellen für kultige Songs.

2008 erfolgt der Relaunch, und er gelingt. Udo kommt wieder, stärker als je zuvor. „Stark wie zwei“ wird seine bis dato erfolgreichste Platte – nach 40 Jahren Karriere. Stringent dabei sein visueller

Auftritt, der nachhaltig von der Bildsprache seiner Freundin und Fotografin Tine Acke geprägt wird. Sie sagt selbst von sich: „Ich bin quasi das Fenster zu Udo.“ Auch passend zum Relaunch: Der Exzessor ändert seinen Lebensstil.

Was passierte dann?

Ich habe mein Leben drogenmäßig umgestellt, weg vom Saufen. Wurde wieder schmal, wog keine 93 Kilo mehr, sondern 71. Ich fing mit Sport an. Das war der erste Schritt. Und dann hatte ich das Glück, dass ich ein paar sehr guten Producern begegnet bin. Ich wusste: Now or never. Du musst es wieder richtig bringen, oder das war’s dann. Wie bei einem Boxer, der nach zehn Jahren wieder in den Ring geht. Ich wollte natürlich, dass es richtig abgeht, auch zu Ehren des Namens Lindenberg.

Hatten Sie in der Situation je den Gedanken, Ihr Design zu ändern … weg mit Hut und Sonnenbrille?

Nein, das waren ja meine Markenzeichen. Ich wollte schmal sein und mich auf der Bühne schnell bewegen: Schnell und gut, Mann mit Hut, habe ich gesagt. Das alles geht nicht, wenn Du voll in der Ecke sitzt. Ich wollte wieder ordentlich Showtime machen und fing an, jede Nacht zu joggen.

Hatten Sie damals Selbstzweifel, Angst, es trotz aller Anstrengungen nicht zu schaffen?

Die hat doch jeder ein bisschen, in stillen Momenten. Aber wenn ich singe „Ich bin der Erfinder höchster Coolness“, dann wollen die Leute das auch sehen. Also bin ich bei einem Konzert auf einer klitzekleinen Plattform vor 50 000 Leuten an Spiderman-Drähten durch das Stadion gefegt. Wenn schon Showtime, dann richtig. Das waren 300 Meter, davor hatte ich schon ein bisschen Bammel. Das war so ein stiller Moment, in dem ich mich fragte: Bin ich wirklich so cool? Die Antwort gab ich mir selbst: Jaja, klar, bin ich. Ich bin wirklich so verrückt. Ich bekenne mich auch gern zu meiner Verrücktheit: weggerückt, vom Normalen weit abgerückt. Das fand ich schon immer erstrebenswert, das normale Leben hat mich dagegen eher erschrocken.

Gibt es für Ihre Shows ein Rezept, einen roten Faden?

Wichtig ist die lässige Art, das Lockere und leicht Verspielte, wie Stuckrad-Barre mal sagte: „Ein bisschen wie leicht angetrunkene Kinder.“ Ich möchte eine Atmosphäre herstellen, wo jeder denkt: Hier kann man sich auch mal danebenbenehmen, Scheiße bauen. Das ist nicht so konventionell. Das lieben die Leute. Sei es nun an dieser Marke Musik oder an dem Typ Lindenberg. Marke und Mensch sind ja ein und dasselbe inzwischen.

Davon kommen Sie nicht mehr runter, scheint es.

Nein, sonst wäre das auch anstrengend, glaube ich. Ich lebe ja quasi in der Öffentlichkeit.

Aus Ihrem Team heißt es, Sie seien sehr nachtaktiv und würden alle Entscheidungen selbst treffen, die im Zusammenhang mit der Marke Udo Lindenberg stehen.

Mir ist es vor allem wichtig, dass ich gute Leute um mich habe, die Besten aus ihrem Fach.

Als Teenager schrieben Sie einem Freund eine Postkarte, auf der es hieß: „Nächste Woche komme ich aus dem Urlaub. Ich mache Schlagzeug, Du machst Management. Wir werden sehr reich.“ Waren Sie immer schon ein Markenstratege?

Ja. Das sind dann die berühmten Eingebungen. Aber nicht alles sind Eingebungen, manches fliegt einem auch zu. Ich war ja von Berufs wegen viel an der Bar, mit hochgeistigen Getränken sozusagen. Da treffe ich Leute und schnacke mit denen über Texte und Shows. Ich bin ein geselliger Mensch. Daraus entstehen Ideen. Beispiel: Du kippst aus Versehen ein Glas um, Eierlikör auf Papier, und Du siehst die schöne gelbe Farbe. Jemand sagt, zeig mal her und kippt Grenadine und Blue Curacao drauf. Okay, sagt einer, das ist ein Likörell. So entstanden Likörelle.

Dann gab es noch die Idee, ein Kreuzfahrtschiff zum Rockliner umzufunktionieren. Wie kam es dazu? 

Weil ich sehr gerne zur See fahre. Beim ersten Mal wurde ich auf ein Schiff eingeladen zu einer Ausstellung meiner Bilder. Ich dachte mir: Ob das wohl gut geht mit mir auf einer Grufti-Reise? Aber dann war doch alles ganz locker, Reisen mit Greisen. Nebenbei habe ich dort ein bisschen getextet: „Der Greis ist heiß“. Später habe ich der Band davon erzählt, und die sagten: „Nimm uns doch mal mit.“ Das war der Start zu Rockliner. Wir haben das schon sechs- oder siebenmal gemacht und damit diese Art von Event-Kreuzfahrt eingeläutet.

Sie nennen Ihre eigene Vorstellungswelt das Udoversum. Haben Sie eigentlich auch Leitbilder außerhalb der Panik-Galaxie?

Eigentlich keine. Ich finde andere Kollegen toll: Steven Tyler, Aerosmith, Mick Jagger, die sind ja auch in dem Alter. Dass die noch ordentlich losmachen und so. Aber viele sind das ja nicht mehr, sterben ja alle weg. In Deutschland wächst ja auch kein richtiger Rockstar nach. Deswegen singe ich in einem Lied: „Einer muss den Job ja machen.“ Nützt ja nichts, da muss ich dann eben noch mal ran.

Quelle: absatzwirtschaft.de, 25.07.18