Blue Flower

Für MTV Unplugged spielt der alte Rocker
mit Freunden wie Stefan Raab und Jan Delay.

Hamburg – Kaum angekommen, meint man schon, ihn gesehen zu haben. Die Anzeichen sind einfach unübersehbar. Dort ragt ein Hut in die Höhe, dort blicken Augen durch dunkle Brillengläser in die Runde, Zigarrenqualm wabert durch die Frühsommerluft, leer ist die Eierlikörflasche im Aschenbecher. Udo Lindenberg ist an diesem Abend in der Kulturfabrik Kampnagel omnipräsent. Es gibt wohl kaum einen Künstler, dessen Anhängerschaft seinen Stil mehr lebt. Männer wie Frauen versuchen sich am Udo-Style. An den Handgelenken baumeln grellgrüne Einlassbändchen – Udos bevorzugte Strumpffarbe. Sogar auf Oberarmen prangt das markante Gesicht des Sängers, dem an diesem Abend eine ganz besondere Ehre zuteil wird. Der Fernsehsender MTV spendiert ihm einen Unplugged-Abend, Generalprobe und Hauptshow wurden aufgezeichnet und sollen im September ausgestrahlt werden.

 

Udo Lindenberg nimmt die Gäste mit in sein „Wohnzimmer“: Foyer und Bar des Hamburger Atlantic-Hotels sind auf der Bühne nachgebaut. In diesem von ihm so geliebten Ambiente will er auf Zeitreise gehen, eine „Wundertüte“ öffnen, wie er sagt. Und was für eine! Fast drei Stunden lang spielt der 65-jährige Altmeister Songs aus fast vier Jahrzehnten in neuem, rein akustischem Gewand – und einen „Urknall“, sein neues Lied „Das Leben“ aus der Feder seines „Stark wie zwei“-Komponisten Martin Tingvall.

 

Lindenberg präsentiert sich in Bestform, nuschelt und tänzelt, schäkert und singt, gönnt den Gästen in der ersten Reihe Blicke in die unbebrillten Augen. Er genießt den großen Auftritt in kleinem Rahmen. Die Streicher der Hamburger Staatsoper unterstützen ihn ebenso wie Bläser aus seinem Berliner Musical. Vier Gitarristen hat er eingeladen, einen Schlagzeuger und einen Percussionisten, einen Pianisten – und viele Freunde, die mit ihm auftreten. Lindenberg ruft, und alle kommen: Jan Delay, Max Herre, Inga Humpe, Clueso, Silly mit Frontfrau Anna Loos, Jennifer (von Jennifer Rostock) und Frida Gold singen, Stefan Raab trommelt.

 

Nicht zuletzt an den musikalischen Freunden liegt es, das die Zuschauer auch die meistgehörten Lindenberg-Dauerbrenner an diesem Abend noch einmal ganz neu entdecken. So zieht Clueso bei „Cello“ derart das Tempo an, das die Ballade zur flotten Mitklatschnummer wird – gerne wieder. Mit Silly und Anna Loos singt er „Was hat die Zeit mit uns gemacht“ zu leider etwas leiser Mundharmonika-Begleitung soviel langsamer als gewohnt, dass Dazwischensinger aus dem Publikum deutlich zu hören sind. Jan Delay in knallroten Lackschuhen darf „Reeperbahn“ sogar umtexten und mit seinem ganz eigenen Beat untermalen: 70er-Rock trifft 2000er-Funk, großartig. „Horizont“ hingegen tastet Udo Lindenberg nicht an: Er singt die kraftvolle Ballade im Duett mit der Lübeckerin Nathalie Dorra, seiner „süßen Marzipanqueen“.

Das Publikum ist restlos begeistert. Trotz der gefühlten 40 Grad in den oberen Reihen (einige Herren entledigen sich ihrer T-Shirts) tanzen, klatschen und singen die 1000 Zuschauer – am liebsten im Stehen. „Ihr seid der Hammer“, bedankt sich dann auch der Meister und verspricht, dass „wir uns wieder sehen“. Udo Lindenberg geht „very bald“ auf Tournee. Ein Volksbegehren habe es gegeben, die „beknackste Nachtigall“ auf der Bühne sehen zu wollen. Und Lindenberg will es auch – weil er es kann!

Quelle: Lübecker Nachrichten, 04.06.11