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Rocklegende Udo Lindenberg beweist in Kassel, dass er ein würdiger Jacob-Grimm-Sprachpreisträger ist

Kassel. Udo Lindenberg darf alles. Der Sänger darf sogar der Tochter des Stifters, der den Kulturpreis Deutsche Sprache ins Leben gerufen hat, mit einem englischen Begriff ins Wort fallen.

Als Felicitas Schöck von der Eberhard- Schöck-Stiftung am Samstag in der Kasseler Stadthalle verkündet, dass Lindenberg der erste Rockmusiker ist, der den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache erhält, ruft der 64-Jährige in der ersten Reihe: „Yeah“.

Ein Gesamtkunstwerk: Preisträger Udo Lindenberg spielte in der Stadthalle für die Fotografen Luftgitarre auf der Handtasche seiner Freundin Tine Acke. Foto: Herzog

Laut Programm ist er noch lange nicht an der Reihe, aber nach dem „Yeah“ applaudieren die 1200 Gäste im Saal, und Lindenberg steht auf, um sich das erste Mal an diesem Nachmittag feiern zu lassen.

Die Rocklegende mit Hut und riesiger Sonnenbrille ist der bislang ungewöhnlichste Preisträger der mit 30 000 Euro dotierten Auszeichnung, die die Stiftung des Bauunternehmers aus Baden-Baden und der Verein Deutsche Sprache seit 2001 in Kassel vergeben. Lindenberg steht jetzt in einer Reihe mit Intellektuellen wie Rolf Hochhuth und Frank Schirrmacher.

„Eine kesse Entscheidung“

Bei seiner Dankesrede nuschelt er noch mehr als sonst, weil „ich meinem Image gerecht werden muss“. Er kokettiert mit seinem verschwenderischen Lebenswandel, fragt, ob in dem Glas am Rednerpult Eierlikör oder Wodka sei. Bei der Pressekonferenz um 15 Uhr hatte er die Journalisten mit „Liebe Leute, guten Morgen“ begrüßt und gesagt, dass er für so einen Preis auch mal früher aufstehe. In der Stadthalle lobt er die Jury für die „kesse Entscheidung“, wirft das Mikro wie ein Lasso durch die Luft und bedankt sich mit drei Interpretationen seiner Hits wie „Horizont“, bei denen er vom schwedischen Jazz-Pianisten Martin Tingvall begleitet wird.

Die letzten Zweifel, ob dieses Gesamtkunstwerk ein geeigneter Preisträger sei, hatte zuvor Matthias Matussek in einer, so Lindenberg, „knalligen Laudatio“ ausgeräumt. Der „Spiegel“-Autor war der ideale Redner für Udo, weil er der Rocker unter den Journalisten ist und in Konferenzen gern mal brüllen soll. Auch Matussek darf alles - solang er selbst verschnupft so gute Reden hält.

Eingepackt in einen Schal erzählte er, wie er Anfang der 70er mit LSD zugedröhnt in seiner WG saß und deutsche Rockmusik allenfalls heimlich hörte. Dann kam Lindenberg, der zuvor mit englischen Texten Weltstar hatte werden wollen, von seinem Debüt aber nur 700 Platten verkaufte, davon „fünf Freiexemplare für die Omma“ in Gronau. Als Matussek 1973 „Alles klar auf der Andrea Doria“ hörte, wusste er: „Deutsch war möglich“.

Die „nuschelnde Nachtigall“, so Matussek, bediente sich in allen Himmelsrichtungen, bei Hermann Hesse, Heinz Erhardt und Jerry Cotton, wurde Vorreiter für viele andere Künstler und erfand auch gleich noch eine neue Sprache: das mit Anglizismen durchsetzte „Easy-Deutsch“.

Diesen bisweilen komischen Udo-Sprech loben sogar die peniblen Sprachschützer des Vereins Deutsche Sprache. „Wir sind dafür, dass sich Sprache weiterentwickelt“, sagte der Germanist Helmut Glück. Vielleicht ist das der größte Verdienst Lindenbergs: Nicht nur die Sprache ist lockerer geworden, sondern auch wir.

Laudator Matussek fasste Lindenbergs Maxime so zusammen: „Lasst die Schwachmaten labern. Es lohnt sich, mein Ding zu machen.“ Wir dürfen nicht alles, sollten aber öfter „Yeah“ sagen.

Die Preisträger

2001: Rolf Hochhuth (Schriftsteller)

2002: Ljudmila Putina (Ehefrau von Wladimir Putin)

2003: Christian Meier (Historiker)

2004: Vicco von Bülow alias Loriot (Komiker)

2005: Paul Kirchhof (ehemaliger Verfassungsrichter)

2006: Günter de Bruyn (Schriftsteller)

2007: Frank Schirrmacher („FAZ“-Herausgeber)

2008: nicht vergeben

2009: Cornelia Funke (Schriftstellerin)

2010: Udo Lindenberg (Rockmusiker)

Quelle: hna, 24.10.10