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Kategorie: aktuell

Er sang Löcher in den Beton

 

Wie Panikrocker Udo Lindenberg den Wall niederjodelte und Honecker in Verlegenheit brachte

 

Bis heute ist er einer der beliebtesten Musiker der Gesamtdeutschen. Früher als andere rockte er gegen das inhumane Beton-Schandwerk.

Die Überwindung der Teilung wurde schnell zu einem der zentralen künstlerischen wie menschlichen Anliegen Lindenbergs (66). Anfänglich als Schlagzeuger bei Klaus Doldingers Jazzband "Passport" in Diensten, schaffte der gelernte Kellner aus dem westfälischen Gronau 1973 mit "Alles klar auf der Andrea Doria" den Durchbruch und wurde bald in West wie Ost verehrt: Einen wie den lässig nuschelnden Udo, halb Volkssänger, halb Liedermacher, mit klugen, verständlichen Texten, dazu ein bisschen frech, ein bisschen kokett, hatte es bis dahin nicht gegeben. Dass seine Musik auch in der DDR gehört wurde, wusste Lindenberg, bekennender Sozialdemokrat und Freund Willy Brandts, natürlich.

 

Rock-Arena in Jena

 

Erstmals flirtete er in seinem 1976 veröffentlichten Lied "Rock-’n’-Roll-Arena in Jena" mit dem Plan, durch Ostdeutschland zu touren. Dort hielt man Udo für eine subversive Bedrohung der Jugend und bescheinigte ihm potentielle Zersetzungskraft. In einem Aktenvermerk heißt es, man sehe ihn als "einen mittelmäßigen Schlagersänger der BRD" und habe kein Interesse an einem Auftritt. Die offiziell verbotenen Platten des inzwischen längst im Berliner Hotel Inter-Continental lebenden Lindenberg liefen heimlich, aber extrem gut unter ostdeutschen Ladentheken.

 

Udo baggerte weiter, schrieb 1983 als ultimative Bewerbungshymne den "Sonderzug nach Pankow", einen seiner größten Erfolge. In dem Lied ("Ich muss mal eben dahin, mal eben nach Ost-Berlin") bezeichnet er den damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als "Honni" und "Oberindianer". Auf den Straßen der DDR war der "Sonderzug" ein Riesenhit. Mit einem persönlichen Brief bewarb sich Lindenberg 1983 bei Honecker, und tatsächlich: Wohl auch aufgrund seines Widerstands gegen die amerikanische Pershingraketen-Aufrüstung durfte er auftreten – am 25. Oktober im Palast der Republik, bei einem Friedenskonzert, mit Harry Belafonte. "Natürlich wollte ich meine Freunde endlich mal kennenlernen, obwohl ich anerkannter Staatsfeind war", erinnert sich Lindenberg. "Ich stand bei den Volkspolizisten und sagte ihnen: Zieht den Fummel aus, schmeißt die Knarre weg – der ganze Scheiß ist bald vorbei." Er hatte Recht, doch der Abend wurde ein Desaster, Udo wähnte sich bei einer Propagandavorstellung. Drinnen saßen die Blauhemden von der FDJ, draußen lieferten sich die wahren Fans Straßenschlachten mit der Stasi. Die in Aussicht gestellte Tournee durch die DDR fand niemals statt.

 

1987 traf der Rockjodler beim ersten BRD-Besuch Erich Honeckers den "Oberindianer" in Wuppertal und schenkte ihm eine E-Gitarre, die der humor- und hilflose Mann nur widerwillig in die Hände nahm. Die Gitarre gilt heute als verschollen, Freunde wurden Udo und Erich nicht. Wenig später war der Spuk vorbei. Lindenberg, dessen Stasi-Aktenstapel einen Meter hoch sein soll, absolvierte nach der Wende und noch vor der Wiedervereinigung seine erste große Tournee durch den Osten.

 

 

 

Die Mission geht weiter

 

Längst ist die DDR Geschichte. Doch Lindenberg will noch immer vereinen: "Es geht darum, sich näherzukommen und irgendwann in den Armen zu liegen." Er tut dafür, was er kann. Seit Januar läuft im Theater am Potsdamer Platz das Musical "Hinterm Horizont". Das Buch zum Stück stammt vom Ostberliner Autor Thomas Brussig ("Sonnenallee"). Erzählt wird zu Lindenbergs Songs die überwiegend fiktive Geschichte von Jessy, dem "Mädchen aus Ostberlin", das sich bei erwähntem Konzert im Palast der Republik in Udo verliebt und später beim Wiedersehen in Moskau von ihm schwanger wird. Ungeschönt erfährt man viel über Stasi-Folter, Mauerflucht und -fall, Verfolgung, Unrecht – und Liebe.

 

Auch wenn Lindenberg mit seinen Liedern allein die Mauer nicht zum Einsturz gebracht hat, hat er doch Begleitmusik für Aufbegehren und Umbruch geliefert: "Ich habe ein paar Löcher in die Mauer gesungen."

Quelle: fnp, 13.08.2011