Blue Flower

Udo Lindenberg – Hut, ahoi!

Udo Lindenberg, 64, der Mann, der niemals untergeht, macht jetzt auch Rock-’n’-Roll-Kreuzfahrten. BILD am SONNTAG ging mit an Bord und sah: Seine Heimat ist das Mehr

In den Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelt sich der Horizont, in seinem lippendominierten Udo-Gesicht die ganze Knautschigkeit des Lebens. Wir kreuzen im Seegebiet Skagerrak auf der Grenze zwischen Nord- und Ostsee; einer gedachten Grenze. Dem Meer, es wiegt und wogt und glitzert so vor sich hin, ist sie egal. Uns auch. Wir stehen an der Reling. Von unten grüßt ein Hering. Ich frage:

Udo, kannst du schwimmen?

Udo Lindenberg: Ja, kann ich. Schon ewig. Freischwimmer und so. Richtig im Schwimmverein war ich. Da wirst du eingetunkt als kleines Kind und wieder hochgezogen an den Walla-Walla-Haaren. Immer hin und her, und so. Dann geht das schon irgendwann. Muss auch, wenn du viel auf See bist. Weißt ja nie, ob die Todeswelle mal kommt oder Poseidon.

Wann hast du zum ersten Mal das Meer gesehen?

Lindenberg: Als Kleinkind, mit sieben oder acht Jahren. Da war ich an der Elbe, wo die ins Meer mündet. Da wohnten Verwandte. Ich war da zur Kinderverschickung in den 50er Jahren. Weil totale Armut und so. Wir haben ja an den nassen Matratzen rumgelutscht. Gab ja nix zu beißen, nä. Und die Kinder, wir waren derer vier, wurden verschickt an Verwandte, die noch einen Krumen Brot im Kühlschrank über hatten. Da sah ich dann das große weite Meer, Schiffe und so. Und ich kriegte gleich Fernweh. Dazu lief dann immer noch „Heimweh“ von Freddy Quinn im Radio, „schön, schön“ und so, „schön war die Zeit“.

Hast du davon geträumt, Seemann zu werden?

Lindenberg: Ja, Schiffssteward. Deswegen hab’ ich ja auch ’ne Kellnerlehre gemacht. Ein Jahr hab’ ich das gemacht. Es gab da nämlich so einen Typen, so ’nen Freund, du weißt schon, ein bisschen älter. Der war Schiffssteward und kam immer nach Gronau, der kleinen Stadt, aus der ich komme, immer mit dem Taxi aus Amsterdam, mit dicken Dollarscheinen in der Tasche und schicken Fotos von Hawaii und trallalla. Da drüber gibt’s auch ein Lied, das heißt „Fernweh“, über den Typ, der mir Ansichtskarten schrieb, aus Konstantinopel oder irgend ’ner Hawaii-Bar. „Und ich weiß noch, wie es mir die Tränen in die Augen trieb, wenn ich bedachte, dass ich nicht dabei war. Er war Seemann, er war gut dran, außerdem total tätowiert. Und ich hing fest, in meinem Nest und war schwer deprimiert.“

Er zieht an seiner Havanna, die fast so selbstverständlich wie ein Finger zu seiner rechten Hand gehört und pustet den Rauch Richtung Norwegen. Hooday Ho. Wir lauschen dem Rauschen des Meeres, endlose Melodie. Ewig schon weckt sie in Herzen die Sehnsucht. Nach Freiheit, nach Ferne, nach Undsoweiter. Und immer mehr merke ich, so einen Udo Lindenberg, der sich gerade die Schuhe ausgezogen hat, um nun auf Socken weiter über Seefahrt zu sinnieren, kann man nicht einfach interviewen wie einen normalen Showstar oder Minister.

Jedenfalls kann man kein Interview führen mit Anfang und Ende, mit Fragen und Antworten, die dann eine Schlagzeile bringen.

Wir stechen hier also in die hohe See der Udo-Sätze, und die ist tiefer, als ihre Oberfläche es vielleicht vermuten lässt. Außerdem, so ein Udo Lindenberg, der gerade nach Tee und Nasenspray verlangt (zum Glück gibt es um ihn immer seine Udo-Experten-Crew, die sich stets um einen geschmeidigen Ablauf kümmert), weiß, einen Ozean überquert man nicht, indem man ihn nur anstarrt.

Hooday Ho. Wir stehen an der Reling, von unten grüßt ein Hering.

Udo sagt: Ich bin so ’n Piratenvogel, weist du, nä, und Entdecker. Eigentlich vor allem Entdecker. Marco Polo, Vasco da Gama, Kolumbus und so. Das fasziniert mich.

Und jetzt hast du Entertainment-Tourismus für dich entdeckt und die Rocker-Kreuzfahrt erfunden.

Lindenberg: Ich war schon immer viel unterwegs, auf so ’nem Schiff und so ’nem Schiff, nur so oder auch mal eingeladen, MS „Deutschland“, „Queen Mary“Und das Entertainment auf vielen Schiffen ist ja ’n bisschen, na ja, ich sag’ nur, Reisen mit Greisen. Steiftiere in Dinner-Jackets. Kreuzfahrt kommt ja von „Ich hab’s im Kreuz“. Bisschen antiquiert, nä. Ballett, ein Zauberer, ein Bauchredner, Tanzorchester ohne Samen, aber Rock gab’s bisher auf Schiffen noch gar nicht. Und weil ich ja Rocker bin, hab ich gedacht: Rock muss eigentlich sein. Nehm’ ich einfach mal die Band mit. Und, wenn ich das Panikorchester mitnehme, kann ich auch gleich noch die Fans mitnehmen. So entstand die Idee für den Rockliner. Der erste seiner Art weltweit.

Wenn Udo Lindenberg also das „Mein Schiff“ der TUI Cruises betritt (262 Meter lang, 32 Meter breit, Platz für 2000 Passagiere, wird daraus der Rockliner mit Rockprogramm.

Auf dem Sonnendeck läuft „Boogie Woogie Mädchen“, im Bord-TV die „Best of Udo Lindenberg“-Videos. Höhepunkt eines jeden Abends ist das große Udo-Konzert im beige-gepolsterten Bordtheater mit Stargästen wie Jan Delay, Nina Hagen und Ich und Ich. Danach Aftershowparty im Casino. Die Band des Maffay-Gitarristen Carl Carlton spielt „Johnny Be Good“. Wer will, darf mitrocken und Udo will immer. Rock-’n’-Roll-Ringelpiez mit Anfassen bis in die Morgenstunden. So ein Trip von Kiel über Kopenhagen nach Oslo und zurück dauert fünf Tage und kostest ab 749 Euro für eine Außen- oder ab 598 Euro für eine Innenkabine.

Die Sonne hängt nun schwerer am Himmel, wirft unsere Schatten auf den Balkon der Kabine 10024, Udos Suite. Tine Acke, seine Lebensgefährtin (33), hellgraue Augen, glatte Haut, schüchternes Lächeln, klopft von innen an die Glastür, um kurz mit Udo das Abendbrot zu besprechen. Seit zwölf Jahren sind sie ein Paar, oder wie Udo es lieber ausdrückt, „mit ihren Herzen sich sehr nah“. Heiraten wollen sie aber nicht. So was ist ihnen „zu spießig“.

Hooday Ho. Und, weil ich nun schon recht lange an der Reling stehe, frische Luft ist gut fürs Gehirn..., verstehe ich allmählich, dass Udo Lindenberg, der sich gerade ein kleines Steak mit ganz viel Ananas bestellt, für die Passagiere auf dem Rockliner mehr ist als ein Klabautermann, den man mal mit ’ner Zigarre im Mund im Fahrstuhl trifft. Für viele von ihnen ist er, der sich nun gerade locker-lässig-lasziv in eine Hängematte rollt, eine Boje, an die sie sich hängen können, oder der Anker, Hoffnung mit Hut. Thomas Richter (42), Schlosser aus Blümen bei Dortmund, ist einer von ihnen und Udo-Double. Ein ziemlich täuschungsechtes. Seinen Eierlikör muss er auf dem Schiff jedenfalls nie bezahlen. Susanne und Mathias Wagner sind Udo-Fans aus Leipzig. Heute Morgen wurden sie vom Kapitän in der am Bug gelegenen VIP-Lounge getraut. Ohne Schnittblumen! Denn Schnittblumen auf Schiffen bringen nach altem Seemannsglauben Unglück.

Udo-Fan Rudi wartet seit zehn Jahren auf eine Spenderniere. Die Nierendrüsen des 42-jährigen gelernten Bäckers aus Lauder bei Würzburg sind zerstört. Wegen einer Fehldiagnose. Nur noch elf Prozent Nierentätigkeit hat er auf beiden Seiten. Dreimal die Woche muss er für fünf Stunden an die Dialyse. Wenn wir morgen wieder anlegen, geht es für ihn vom Hafen direkt ins nächste Krankenhaus. Gestern Abend in der kleinen Bar auf Deck 6 sagte er:

„Ich höre immer Udo-Songs, wenn’s mir dreckig geht. ‚Wenn ich durchhänge‘ zum Beispiel. Die bauen mich dann wieder auf. Oder bei ‚Mein Body und ich‘ (im Text bedankt sich Udo bei seinem Körper, dass er es schon so lange mit ihm aushält) sind mir schon oft die Tränen gekommen. Wenn ich solche Lieder höre, denk’ ich, die hat er für mich geschrieben.“

Am nächsten Morgen, seine Knautschigkeit erwacht so gegen 12 Uhr 30, treffe ich Udo wieder an der Reling der Realität, dort, wo gestern noch das wiegende, wogende Meer so vor sich hinglitzerte, ist jetzt der kahle Kai von Kiel.

Was machst du, wenn du wieder an Land bist?

Lindenberg: Ich zieh’ jetzt erst mal nach Berlin. Bin ja sozusagen gerade bisschen heimatlos. Im „Atlantik“ bauen die gerade um. Mach’ ja in Berlin auch bald ein Musical. Wird ’ne totale Romeo-und-Julia-Geschichte. Keine „West Side Story“, sondern eine East-Side-Story. Die Geschichte vom Mädchen aus Ost-Berlin. Wird aber ganz anders als andere Musicals. Volles Brett und ohne Vibrator im Hals.

Machst du auch eine neue Platte?

Lindenberg: Ja, im April. Ich mach ein „MTV Unplugged“-Album. Auch aufm Schiff. Mit drei bis vier neuen Hammer-Songs.

Früher hast du ja alle neun Monate eine neue Platte rausgebracht.

Lindenberg: Ja, ja, damals gab’s unerschöpfliches Material natürlich. Ganze Kindheit, ganze Jugend, Drogen, das allererste Mal. Das wird heute ein bisschen schwierig. Das Leben im Hotel, das Klarkommen mit dem Ruhm, dem Mythos... Ich brauch ’n gutes Thema. Eins, das mit mir und meinem Leben jetzt zu tun hat. Nach „Stark wie Zwei“ ist das ehrlich ’n Problem. Weil wir viele, viele Dinger gemacht haben jetzt. Das ist schon eine sehr hohe Messlatte. Da rüberzukommen ist schwierig. Fühl’ mich ein bisschen wie ein Stabhochspringer. Ein bisschen Angst vor der eigenen Höhe.

Quelle: bild,19.09.10